Mittwoch, 7. März 2018

Wie wäre es gebildet zu sein?

Anmerkung: Dies ist ein Schulprojekt, in welchem wir uns mit der Frage „Wie wäre es gebildet zu sein?“ mithilfe des Buches "Was ist Bildung?" beschäftigen sollten. Ich habe mich sehr persönlich mit dieser Frage auseinander gesetzt und mir haben die Antworten selbst geholfen mich und meine Ziele zu definieren. Aus diesem Grund möchte ich meine Ergebnisse hier veröffentlichen.


1. Einleitung

In diesem Text  werde ich versuchen die Frage zu beantworten: „Wie wäre es gebildet zu sein?“
In dieser Einleitung werde ich kurz erläutern, wie ich hierbei vorgegangen bin. Zuerst klärte ich unter 2. die Bedeutung der Bildung für mich, hauptsächlich mithilfe des Buches „Was ist Bildung?“ aus dem Reclam-Verlag aus dem Jahre 2013.
Unter 3. überprüfte ich, ob mit meiner Definition der Bildung es überhaupt möglich ist einen Zustand der Bildung zu erreichen, welches die Leitfrage dieser Arbeit impliziert, und wieso dies so ist.
Da ich in diesem Punkt herausfand, dass dem nicht so war, stellte ich die zentrale Frage um in „Was erwarte ich mir von Bildung?“ Diese Frage beantwortete ich für mich persönlich unter dem Punkt 4.
  
2. Was ist Bildung für mich?

Für die meisten Leute scheint Bildung etwas zu sein, was man erreichen kann. Ich habe ein bestimmtes Fach studiert, nun bin ich in diesem Fach gebildet. Ich habe eine Berufsausbildung gemacht, nun bin ich für dieses Feld der Arbeit gebildet. Ich habe eine Reihe Sachbücher gelesen oder ein paar Lehrvideos gesehen und nun bin ich gebildet genug, um eine Unterhaltung darüber zu führen.
Es gibt in verschiedensten Bereichen Fachbegriffe, um darzustellen, wie gebildet man ist. Bei Sprachen spricht man von Anfängern bis zu Muttersprachlern, in der Schule gibt es die verschiedenen Zweige und bei dem Studium gibt es den Bachelor und den Masterabschluss, so als sei Bildung eine Flüssigkeit und der Mensch ein Behälter und diese Titel sind Messstriche die Anzeigen wie voll das Gefäß ist. Und auch die Fragestellung dieser Arbeit impliziert, dass wir irgendwann gebildet sein wollen.
Ich finde hingegen, dass Bildung nicht einfach ein Zustand ist den man erreichen kann, das Wort selbst deutet es an. Bildung – etwas bildet sich und nicht es hat sich gebildet. Ich stimme Reinhardt Koselleck zu, wenn dieser Bildung als eine Lebensführung bezeichnet, auch wenn wir uns über die genaue Art dieser Lebensführung nicht einig sind.[1]

Peter Bieri sagt, Bildung beginnt mit der Neugierde. „Man töte in jemanden die Neugierde ab, und man stiehlt ihm die Chance, sich zu bilden. Neugierde ist der unersättliche Wunsch, zu erfahren, was es in der Welt alles gibt.“[2] Für mich ist der erste Teil von Bildung, sich dieser Neugier hingeben zu können. Sich bewusst mit der Welt und der Sachen auf ihr, die einen interessieren, auseinander zu setzen. Mir selbst ging es so, dass ich schon immer ein Interesse an der Welt um mich hatte und mir es Spaß macht, über alles Mögliche nachzudenken und mich zu informieren. Politik und Wirtschaft, Erdkunde, Religion und Geschichte waren in der Schule von Anfang an meine Lieblingsfächer, da sie mir ermöglichten, mir ein Bild von der Welt zu machen.
Aber Neugier und die Erfüllung derselben macht noch lange keine Bildung. Man darf sich nicht zufrieden geben mit dem, was man gelernt hat. So erging es mir nach einer Weile in der Schule, das Politikbuch war veraltet und wir lernten von den politischen Ereignissen von vor acht Jahren, Erdkunde war nur noch Auswendiglernen, ich war der einzige der sich für tiefe Philosophische Fragen interessierte und in Geschichte wurde nicht mehr gelehrt was interessant war, sondern was auf dem Lehrplan stand. So war es an mir mich in meiner privaten Zeit zu über die Schule und deren Lehrplan hinaus zu bilden. Von da an wurde mein Anspruch immer höher und ich wurde immer skeptischer und stellte mehr und mehr Fragen.
Diesen Prozess beschreibt Bieri in seinem Text als Bildung als Aufklärung. Er schreibt: „Es heißt sich Fragen vorzulegen: Was weiß ich und verstehe ich wirklich? (…) Was für Belege habe ich für meine Überzeugungen? Sind sie verlässlich? Und belegen sie wirklich, was sie zu belegen scheinen? Was sind gute Argumente, und was ist trügerische Sophisterei? (…) Wann macht ein Ereignis ein anderes wahrscheinlich? Was ist ein Gesetz im Unterschied zu einer zufälligen Korrelation? Was unterscheidet eine echte Erklärung von einer Scheinerklärung?“[3]
Die gleichen Fragen stellte ich immer häufiger. Aber ich stellte mich selbst auch immer infrage. Habe ich etwas übersehen? Habe ich etwas falsch verstanden? So gehe ich sicher, dass ich selbst keine Fehler mache und mich auch nicht bilde um selbst Recht zu haben.
Durch diese Fragen und durch die Skepsis kann ich schwache Argumente sofort erkennen, ohne von dem Thema selbst besonders viel Ahnung zu haben. Der gleichen Meinung ist auch Bieri, der schreibt:
„Jemand, der in diesen Dingen wach ist, wird skeptische Distanz wahren, nicht nur gegenüber  esoterischer Literatur, sondern auch gegenüber wirtschaftlichen Prognosen, Wahlkampfargumenten, psychotherapeutischen Versprechungen und dreisten Anmaßungen der Gehirnforschung.
Und er wird gereizt, wenn er hört, wie andere Wissenschaftsformeln nur nachplappern. Der in diesem Sinne Gebildete weiß zwischen bloß rhetorischen Fassaden und richtigen Gedanken zu unterscheiden. Er kann das, weil ihm zwei Fragen zur zweiten Natur geworden sind: ‚Was genau heißt das? ‘ und ‚Woher wissen wir, dass es so ist?‘ Das immer wieder zu fragen macht resistent gegenüber rhetorischem Drill, Gehirnwäsche und Sektenzugehörigkeit, und es schärft die Wahrnehmung gegenüber blinden Gewohnheiten des Denkens und Redens, gegenüber modischen Trends und jeder Form von Mitläufertum. Man kann nicht mehr geblufft werden, Schwätzer, Gurus und anmaßende Journalisten haben keine Chance. Das ist ein hohes Gut, und sein Name ist: gedankliche Unbestechlichkeit.“[4] (Anmerkung: Durch eine selbstkritische Natur ist es mir möglich, hier über die Ironie zu lachen, dass ich jemanden zitiere, der verachtend vom „Nachplappern“ spricht)

Im Laufe der Zeit spezialisierte ich mich mehr und mehr auf das Fach Geschichte, da ich herausfand, dass unsere Kultur, Gesellschaft, Politik, Religion, Wissenschaft, Wirtschaft und ja einfach alles seinen Ursprung in Geschichte hat. Durch das genaue Studium der  Geschichte werden moderne Probleme und Streitpunkte klarer und können einfacher beigelegt werden. So konnte ich mit einem Grundverständnis von Geschichte mit Menschen, die sich auf ein bestimmtes Feld spezialisiert hatten, Unterhaltungen führen und mit ihnen mithalten, ohne so viel Spezialwissen zu haben wie sie. Bieri schreibt, das Bewusstsein des Gebildeten ist geprägt von historischer Neugier: „Wie ist es dazu gekommen, dass wir so denken, fühlen, reden und leben?“[5]
Und durch ein unabhängiges Studium der Geschichte erlangt man ein Bewusstsein der historischen Zufälligkeit. Dies bedeutet zu sehen, dass unsere Kultur nur ein Ergebnis einer langen Entwicklung war und nicht dass eine lange Entwicklung nur dafür da war, uns zu produzieren. Und ich stimme Bieris Beschreibung zu, wenn dieser schreibt: „Es drückt sich aus in der  Fähigkeit, die eigene Kultur aus einer gewissen Distanz heraus zu betrachten und ihr gegenüber eine ironische und spielerische Einstellung einzunehmen. Das heißt nicht: sich nicht zu der eigenen Lebensform zu bekennen. Es heißt nur, sich von dem naiven und arrogantem Gedanken abzurücken, die eigene Lebensform sei einem angeblichen Wesen des Menschen angemessener als jede andere.“[6]
Und sobald man dafür ein Verständnis entwickelt hat, wird man ein offenerer Mensch und ermöglicht Neugier und Interesse in die unterschiedlichsten Themen: „wissen zu wollen, wie es gewesen wäre, in einer anderen Sprache, Gegend und Zeit, auch in einem anderem Klima aufzuwachsen. Wie es wäre in einem anderen Beruf, einer anderen sozialen Schicht zu Hause zu sein. Ich habe das Bedürfnis nach wachem Reisen, um meine inneren Grenzen zu erweitern.“[7]
Und Bieri schließt mit einer Definition ab, der ich mich auch selbst nur anschließen möchte: „Der Gebildete ist einer, der ein möglichst breites und tiefes Verständnis der vielen Möglichkeiten hat, ein menschliches Leben zu leben.“[8] So lernt man aus der Geschichte, dass Technologie eine Kultur nicht besser macht. Zwar verbreitete der Buchdruck Bücher an alle Schichten der Gesellschaft, allerdings sind Bücher nicht mehr so kunstvoll wie im Mittelalter, verziert mit Bilderhandschrift und unglaublicher Liebe zum Detail. Würde man einem Illuminator aus dem Mittelalter, dessen Aufgabe es war Bücher zu kopieren, ein modernes Buch zeigen, würde dieser vielleicht entgegnen, unsere Bücher seien langweilig, lieblos und ja, geradezu primitiv, und würde weiterhin froh sein, Bücher per Hand herzustellen.

Doch Bildung bedeutet weiterhin, die Informationen und das Wissen, welches man erlangt, nicht bloß in der hintersten Ecke des Gehirns verschimmeln zu lassen, sondern mit diesem Wissen zu handeln. Dies muss schon im Kopf passieren. Ob man ein Gebildeter ist, lasst sich an der Einstellung sehen, mit der er arbeitet. Bieri schreibt, „der Gebildete weiß Bücher so zu lesen, dass sie ihn verändern. (…) Das ist ein untrügliches Kennzeichen von Bildung. Dass einer Wissen nicht als bloße Ansammlung von Information, als vergnüglichen Zeitvertreib oder gesellschaftliches Dekor betrachtet, sondern als etwas, das innere Veränderung und Erweiterung bedeuten kann, die handlungswirksam wird.“[9]
Diese Einstellung ist für die Bildung sehr wichtig, denn wenn man sich nicht an das gelernte Wissen anpasst, wird man unweigerlich das Wissen so anpassen, dass es einem passt. Hierbei entstehen jedoch nur Halbbildung und Fehlinformation. Ich kenne dies selbst nur zu gut. Immer wieder sehe ich Menschen, die sich schon bevor sie sich in ein Thema vertiefen eine Meinung gebildet haben. Und wenn sie sich dann mit diesem Thema auseinander setzen, dann finden sie auch immer nur die Antworten, nach denen sie gesucht haben und können sich nicht eine neue Meinung bilden. Bieri nennt diese Menschen ungebildete Gelehrte.
Weiter nimmt Bieri mir die Wörter aus dem Mund wenn er schreibt: „Der Leser von Sachbüchern hat einen Chor von Stimmen im Kopf, wenn er nach einem richtigen Urteil einer Sache sucht. Er ist nicht allein. (…) Er sieht die Welt danach anders, kann anders, differenzierter darüber reden und mehr Zusammenhänge erkennen.“ [10]  
Durch mein Interesse in Geschichte lese ich ständig Sachbücher, deren Meinungen manchmal miteinander konkurrieren. Doch hier ist es wichtig, sich nicht einfach einer Meinung anzuschließen und alle anderen zu ignorieren, sondern in dem gesamten Chor von Meinungen nach einem richtigen Urteil suchen. Und dies ermöglicht einem die Welt besser zu verstehen und einfacher zu interpretieren.

Es ist jedoch nicht immer einfach, dem Lebensstil der Bildung zu folgen. Denn in dem Streben die Neugier zu sättigen, wird man auf Wissen stoßen, welches wir lieber nicht gehabt hätten. Bieri schreibt hier: „Besonders schwierig ist es dann, wenn das Fremde die eigenen moralischen Erwartungen verletzt. Was machen wir mit Grausamkeit, die uns in Rage versetzt, anderswo aber akzeptierter Bestandteil des Lebens ist?“[11]
Doch ist es wichtig, hier nicht vor Grausamkeiten die Augen zu verschließen, denn sinnlose Romantisierung verhindert Bildung. Peter Bieri und ich sprechen aus dem gleichen Mund wenn dieser sagt: „Bildung verlangt hier Furchtlosigkeit.“[12]
Aber dies sollte kein Problem darstellen, wenn man mit der richtigen Einstellung an das Lernen geht. Man sollte hier immer aus Neugier lernen und nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, so wie Schopenhauer es in den Schulen bemerkt: „Jene lehren, um Geld zu verdienen, und streben nicht nach Weisheit, sondern nach dem Schein und Kredit derselben; diese lernen nicht, um Kenntnis und Einsicht zu erlangen, sondern um schwätzen zu können und sich ein Ansehn zu geben.“[13] Wenn man lernt, liest oder studiert für einen anderen Grund, außer um die Welt zu erforschen und eine objektive Wahrheit zu finden, sondern dies nur tut um Recht zu haben und um als gebildet dazustehen, kann man meiner Meinung nach nie von wahrer Bildung sprechen. Schopenhauer beschreibt weiter, wie ich es selbst schon gesehen habe, wie sich diese Menschen verhalten: „Alle dreißig Jahre tut sich ein neues Geschlecht auf, ein Guckindiewelt, der von nichts weiß und nun die Resultate des durch die Jahrtausende angesammelten menschlichen Wissens, summarisch, in aller Geschwindigkeit in sich fressen und dann klüger als alle Vergangenheit sein will. Zu diesem Zweck bezieht er Universitäten und greift nach den Büchern, und zwar nach den neuesten als seinen Zeit- und Altersgenossen. Nur alles kurz und neu! Wie er selbst neu ist. Dann urteilt er darauf los.“[14]
Dies passiert häufiger in dem Fach Geschichte, wo viele Interessierte einen bestimmten Autor mögen oder, im Zeitalter des Internets, einen YouTube-Kanal oder einen Podcast über Geschichte, und alles was diese Person/en zu sagen haben aufsaugen und dann anfangen, jeder anderen Meinung zu erzählen, sie sei falsch.

Abschließend möchte ich noch einmal zusammenfassen, was genau für mich Bildung bedeutet. Bildung ist für mich ein Prozess, eine Art des Seins, ein Lebensstil. Dieser kann für jeden anders aussehen, aber er hat doch einige bestimmende Merkmale. Erstens eine große Neugier und die Fähigkeit, sich der Neugier offen hinzugeben. Zweitens das Entwickeln einer wissenschaftlichen Skepsis und Selbstkritik. Drittens die Entwicklung einer Offenheit gegenüber verschiedenen Arten zu leben. Und zuletzt, nie das Ziel zu haben, sich für irgendein greifbares Ziel zu bilden. Jeder, der diese Merkmale erfüllt, ist ein Gebildeter, egal ob Student oder Professor. Das ist für mich Bildung. 

3. Kann man überhaupt gebildet sein?

In diesem Abschnitt möchte ich noch einmal auf die zentrale Frage dieser Arbeit zurückkommen: „Wie wäre es gebildet zu sein?“ Um diese Frage zu beantworten müssen wir zuerst klären, was Bildung ist. Dies habe ich im vorherigen Abschnitt getan. Doch in meiner Definition von Bildung beschreibe ich, dass Bildung kein Zustand ist, den man erreichen kann, was allerdings mit der Leitfrage dieser Arbeit im direkten Konflikt steht, da es in ihr im Präteritum heißt, dass man gebildet sein kann. Daher werde ich die Frage für den nächsten Abschnitt (4.) umformulieren in „Was erwarte ich mir von Bildung?“, da ich glaube, dass diese Formulierung dem Geist der originalen Leitfrage nahe kommt und mir eine ausführliche Beantwortung ermöglicht. Allerdings werde ich zuerst noch weiter erläutern, wieso Bildung nicht ein erreichbarer Zustand sein kann.
Also, wieso kann man Bildung nicht erreichen? Die einfachste Antwort auf diese Frage ist, weil man nie auslernt. Wie ich oben erläuterte, ist ein gebildeter Mensch von einer ständigen Neugier bestimmt. Er arbeitet eben nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, welches er erreichen kann. Die einzigen Menschen, die glauben sie hätten alles Interessante auf dieser Welt gelernt, sind entweder zynisch oder naiv. Die Menschen, die lernten um ein Ziel zu erreichen oder die Zynischen und Naiven, waren allerdings von Anfang an halb oder ungebildet. Wahrhaft gebildete Menschen sehen immer, dass es noch unendlich viele Sachen zu lernen, verstehen oder entdecken gibt und werden nicht aufhören gebildet zu sein.

4. Was erwarte ich mir von Bildung?

Nun, diese Frage könnte ich übergreifend sehr kurz beantworten, sogar nur in einem Wort. Alles. Ich erwarte mir alles von Bildung.
Um dies ein wenig weiter zu erläutern, möchte ich an dieser Stelle in ein japanisches Konzept einführen und zwar Ikigai (jap. 生き甲斐). Ikigai bedeutet frei „das, wofür es sich zu leben lohnt“, „die Freude und das Lebensziel“ oder salopp „der Grund, weswegen ich morgens aufstehe“. In Japan glaubt man, jeder Mensch habe seinen eigenen Ikigai und wenn man ihn findet oder gefunden hat, erfüllt es das Gefühl der Lebensfreude und innere Zufriedenheit. Ikigai ist oft eine Kombination aus dem, was man liebt, worin man gut ist, wofür man bezahlt werden kann und etwas, was die Welt braucht.
Vor etwa einem dreiviertel Jahr habe ich mein persönliches Ikigai gefunden, auch wenn ich den Begriff Ikigai erst vor wenigen Wochen entdeckte. Ich befand mich gerade in 2. Jahr meiner Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation bei der Stadtverwaltung Frankfurt am Main. Obwohl es ein sicherer Beruf mit Tarifzahlung und Übernahmegarantie war, fühlte ich mich dort nie richtig wohl. Ich war unterfordert, die Arbeit interessierte mich nicht und obwohl es eigentlich einfach war, machte ich ständig Fehler, weil ich mich nicht konzentrieren konnte. Doch meine Leistung dort war eigentlich kein Problem. Ich stand in der Ausbildung immer noch durchschnittlich auf einer Drei und es gab noch Schlechtere in unserem Ausbildungslehrgang. Alles was ich tun musste, war mich aufzuraffen und mich zu konzentrieren und ich hätte etwas gehabt, wovon andere Menschen träumten, einen sicheren, wohlverdienenden Job. Doch ich konnte es einfach nicht und ich wusste nicht genau wieso.
Ich hatte mich schon einige Jahre vor meiner Ausbildung unter anderem für Geschichte interessiert, wie ich es schon weiter oben geschildert habe, doch besonders während meiner Ausbildung spezialisierte ich mich mehr in Richtung Geschichte. Ich las Sachbücher und Romane, konsumierte alle möglichen Medien, die auch nur ansatzweise etwas mit Geschichte zu tun hatten, diskutierte auf Online-Foren und stellte meine eigenen Theorien auf. Ich verbrachte immer Zeit mit Geschichte, sodass es sich auf die Arbeit auswirkte. Erst machte ich Nächte durch und war noch unkonzentrierter auf der Arbeit und kam immer öfters zu spät. Doch nach einer Weile fing ich an, die Ausbildung zu schwänzen, da ich einfach nicht die Energie aufbringen konnte, morgens aufzustehen. Ich wusste, dass etwas falsch lief, aber nicht, was ich tun sollte. Nach einer Weile wurden meine Fehlzeiten zu viel und ich wurde von der Ausbildungsleiterin darauf aufmerksam gemacht. Ich beschloss mich von meinem Arzt krankschreiben zu lassen, um darüber nachzudenken was ich tun sollte, um mein Leben in den Griff zu bekommen. Doch ohne es wirklich wahrzunehmen, machte ich in dieser Zeit genauso mit Geschichte weiter wie vorher.
Aber dann machte es in meinem Gehirn einfach „Klick“ und ich wusste auf einmal, was ich tun musste. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass mein Job einfach nichts für mich war und dass ich kündigen musste. Ich erkannte, dass es für mich natürlich war Geschichte weiterzuverfolgen und es zu studieren. Es war für mich zur zweiten Natur geworden. Ich war gut darin, ich habe alles daran geliebt und ich schien nur für das Studium der Geschichte geschaffen worden zu sein. Ich entdeckte, dass Geschichte mein Ikigai war, der Grund wieso ich morgens aufstehe.
Ich liebe alles an Geschichte. Ich liebe es, wie durch das Studieren der Vergangenheit die Gegenwart auf einmal klarer und verständlicher wird. Für mich gibt es kein besseres Gefühl, als meine gesamte Gehirnleistung auf ein theoretisches Problem konzentrieren zu können oder der „Heureka“ Moment, wenn ich es löse. Ich finde es faszinierend, wie viele Faktoren zusammenspielen, um unsere heutige Welt zu ergeben und noch faszinierender, diese Zusammenhänge herauszufinden. Oder die Entdeckung einer Geschichte, die heute vielleicht in Romanen oder Filmen dargestellt werden würde, nur dass diese sich tatsächlich ereignet hat.
Aber es ist nicht nur, dass ich es interessant finde oder dass es mir gefällt. Ich bin – wenn ich dies in aller Bescheidenheit sagen darf – auch natürlich gut darin. Manchmal denke ich, meine Art zu Denken und Probleme zu lösen, sei dazu geschaffen, um Geschichte zu interpretieren. Ich habe mich schon mehrmals mit Menschen unterhalten, die Geschichte studierten oder studiert hatten und konnte sie in Diskussionen von meinen Theorien und Standpunkten überzeugen, obwohl sie vorher anderer Meinung waren. Und oft sehe ich es, dass sich inkorrekte Meinung oder Überzeugungen bilden, einfach weil zu abstrakt gedacht wird, oder zu sehr an moderne Standards gemessen werden.
Deshalb sage ich, ich erhoffe mir alles von Bildung. Es ist nicht irgendein Mittel von dem ich mir irgendein bestimmtes Ziel erwarte. Bildung, für mich besonders im historischen Sinne, ist mein Lebenssinn, der Grund wieso ich morgens aufwache. Aber konkreter besuche ich gerade das Abendgymnasium um Geschichte studieren zu können und um mich dem Lebensweg der Bildung vollständig hingeben zu können.



[1] Vgl. Koselleck 2013:151-154
[2] Bieri 2013:229
[3] Bieri 2013:231
[4] Bieri 2013:231
[5] Bieri 2013:232
[6] Bieri 2013:232
[7] Bieri 2013:233
[8] Bieri 2013:233
[9] Bieri 2013:234
[10] Bieri 2013:234
[11] Bieri 2013:238
[12] Bieri 2013:238
[13] Schopenhauer 2013:164
[14] Schopenhauer 2013:164

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